Was einen guten Verkäufer ausmacht:

meine nicht-repräsentative Studie

Es ist Mai 2021, die dritte Corona-Welle scheint gebrochen und nach Monaten des Online-Shoppings zieht es die Menschen wieder in den stationären Einzelhandel. So auch mich. Meine offline-Shopping-Tour beginnt in einem großen Bekleidungsgeschäft. Heute soll es eine kurze Hose sein. Der Sommer kommt hoffentlich noch in Fahrt und das Modell aus der Vorsaison ist doch arg ausgeblichen. Ich habe also echten Bedarf. Es ist kein Verkaufspersonal in Sicht, also sammle ich selbst eine erste Auswahl zusammen.

Mir ist nicht zu helfen

In der Umkleide stelle ich schnell fest, dass noch kein Treffer dabei ist. Leicht genervt verlasse ich die Kabine, als mir eine Angestellte entgegen kommt. "Kann ich Ihnen helfen?", lautet ihre Standard-Verkäufer-Frage. "Nein danke.", ist meine Standard-Kunden-Antwort, die mir vollkommen reflexartig über die Lippen kommt.

 

Noch bevor ich realisiere, dass das gelogen war und ich sehr wohl Hilfe benötige, ist die Verkäuferin schon aus meinem Sichtfeld. Und mit ihr meine Kauflaune.

 

Ich verlasse das Geschäft missmutig und ohne neue Hose (und das, obwohl ich extra einen Schnelltest gemacht habe, um shoppen gehen zu können).

Ein paar Tage später stehe ich in einem kleinen Fachgeschäft vor einem Jackenregal. Heute bin ich eher etwas unentschlossen, zumal die Jacken nicht unbedingt in die Preiskategorie "spontanes Schnäppchen" fallen. Möchten Sie wissen, warum ich trotzdem nach 15 Minuten mit einer neuen Jacke und zwei Dosen Schaumwein den Laden verlasse?

Zwei Dosen Schaumwein für 199,50 Euro

Ich begutachte gedankenverloren das Sortiment der neuen Kollektion. "Soll es eine Jacke für den Sommer oder den Winter sein?", fragt mich der Verkäufer, der plötzlich neben mir steht. "Naja, so für den Übergang.", höre ich mich noch sagen, da sind wir schon mitten im Beratungsgespräch über modische Farben. Er zieht zielgerichtet meine Größe von der Stange und hilft mir freundlich in die rote Jacke. Sie sitzt und sieht gut aus. Aber eigentlich wollte ich jetzt gar nicht unbedingt etwas kaufen.

 

"Ich würde die Jacke gern noch mit einem Pullover drunter probieren. Ich komme die nächsten Tage wieder.", lautet mein Vorwand. "Das brauchen Sie nicht, ich hole Ihnen gern einen Pullover zum drunter ziehen.", kontert er. Mir gefällt nicht nur die Jacke immer besser, sondern auch das Verkaufsgespräch.

 

Trotzdem fällt es mir schwer, jetzt 200 Euro auszugeben. "Gibt es beim Preis noch einen Spielraum?", frage ich und hoffe auf eine Vorlage, um meine Entscheidung vertagen zu können. "Das nicht.", sagt der Verkäufer, "Aber ich packe Ihnen noch zwei Dosen Sekt oder Prosecco drauf.", sagt er und lächelt freundlich.

"Okay, wir haben einen Deal.", sage ich. Aber mit nur einem Abschluss gibt sich der Verkäufer nicht zufrieden.

Nach dem Abschluss nochmal volles Risiko

"Und was ist mit Ihnen?", blickt er freundlich zu meiner Frau herüber. "Machen wir für Sie heute auch noch einen Deal?"

 

Meine Frau winkt dankend ab. Er bleibt gelassen. "Ich muss mal eben schauen, ob wir Prosecco oder Sekt da haben - Ich bin erst heute in dieses Geschäft gewechselt.", sagt er, und kommt eine Minute später mit je einer Dose zurück.

Was einen guten Verkäufer ausmacht:

  • die erste Ansprache: "Kann ich Ihnen helfen?" ist eine geschlossene Frage, für meine Begriffe als Einstieg in Beratung und Verkauf sowas von überholt. Der Kunde will nicht hilflos wirken und hat dann mit einem "Nein" schnell seine Ruhe. Das ist gelernt und klappt immer.
  •  Versus "Soll es eine Jacke für den Sommer oder den Winter sein?" - eine offene Frage, bietet eine echte Chance, die Wünsche und Bedürfnisse des Kunden zu erfahren. Wenn der Kunde am Ende doch nur "gucken" will, dann kann er auch das ganz schmerzfrei auf die Frage antworten.
  • zuhören, dran bleiben, Lösungen finden - aber locker: Meinen Vorwand mit dem Pullover hat der Verkäufer souverän aufgenommen, meine Bedenken erkannt und eine Lösung gefunden.
  • seien Sie auf eine Preisdiskussion vorbereitet: bei meiner Frage nach einem Sonderpreis habe ich dem Verkäufer fest in die Augen geblickt. Meine Frage hat ihn nicht unerwartet getroffen. Er hat mich freundlich aber bestimmt angesehen, die Frage charmant pariert und noch ein Gimmik draufgelegt, anstatt in die Diskussion einzusteigen.
  • schauen Sie, ob es noch mehr Bedarf gibt: nach meinem "Deal" hat der Verkäufer wie selbstverständlich auch meine Frau gefragt, ob sie noch einen Bedarf hat und hat dabei sogar
  • den Kunden gespiegelt: das Spiegeln kennen wir aus dem NLP. Durch das Angleichen von Körperhaltung und Sprache (hier das Wort "Deal") gelingt es, zügig eine tragfähige Beziehung auch zu Unbekannten aufzubauen. Das fördert Vertrauen.

Ob der zweite Verkäufer sich seiner Erfolgsfaktoren bewusst ist? Ich weiß es nicht. Aber er war absolut authentisch und hat einen verdammt guten Job gemacht.

 

Du bist Verkäufer und hast Lust darauf, dein Handwerk weiter zu verbessern? Du bist Vertriebsleiter und möchtest die Ansprache und Abschlussorientierung deiner Mitarbeitenden weiter verbessern? Oder du möchtest einfach nur wissen, wo man so ein gutes Verkaufsgespräch erleben kann? Dann freue ich mich über deine Nachricht.

P.S.: Den Kauf der Jacke habe ich übrigens nicht einen Tag bereut.